Teil der Verkehrswende werden – das „EVA-Prinzip“
Während die Erfolge der Energiewende langsam sichtbar werden, kommt ihr Pendant im Mobilitätsektor – die Verkehrswende – nicht so recht in Schwung. Dabei haben auch kirchliche und kirchennahe Einrichtungen eine Menge Möglichkeiten, einen Beitrag zu leisten und Vorbild für eine nachhaltige Mobilität zu werden. Der Artikel skizziert dies anhand der drei, aufeinander aufbauenden Ansatzpunkte Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung (kurz: EVA).
Autor
Christian Scherf,
InnoZ GmbH und WZB gGmbH, Berlin
Wer sich heutzutage die Straßen und Plätze Deutschlands anschaut, kann zu Recht fragen: Was soll das eigentlich sein, diese „Verkehrswende“? Überall sind fahrende, parkende oder im Stau stehende Privatautos zu sehen, die das Straßenbild weithin prägen. Fast alle Fahrzeuge haben einen Verbrennungsmotor eingebaut. Lärm, Schmutz sowie Platz- und Ressourcenverbrauch gehören zur Normalität. Wir haben uns daran gewöhnt und merken es kaum noch.
Und doch scheint sich etwas in der Einstellung der Menschen zu verändern: Die „Dieselkrise“ – die immer mehr zum Wirtschaftskrimi wird – beherrscht die Medien und erhitzt zusehends die Gemüter.
Laut einer Umfrage des Magazins „Stern“, stimmt mit 47 Prozent fast jeder zweite Deutsche der Forderung zu, ab dem Jahr 2030 keine Autos mit Verbrenner mehr neu zuzulassen. Nach zahlreichen Staaten Europas hat nun selbst Großbritannien ein Ausstiegsdatum festgelegt – und zwar nicht aus der EU, sondern aus dem Verkauf neuer Verbrenner. Zwar liegt das Datum 2040 in noch viel weiterer Zukunft, als die “Brexit”-Verhandlungen dauern dürften, dennoch ist die Meldung aus dem Mutterland von Bentley, Jaguar und Rover eine kleine Sensation. Es mehren sich somit die Anzeichen, dass es sowohl die Politik, als auch die Bevölkerung ernst meint mit der Wende.
Doch warum sollten auch kirchliche und kirchennahe Institutionen diesen Wandel unterstützen? Nachfolgend seien einige mögliche Gründe und drei konkrete Ansatzpunkte genannt.
Warum die Verkehrswende unterstützen?
Die Verkehrswende ist Ausdruck der sogenannten „sanften Mobilität“. Hierzu zählen sämtliche technischen und organisatorischen Fortbewegungsformen, die den Grundsätzen der Nachhaltigkeit entsprechen.
Nachhaltig ist eine Technik oder ein Verhalten dann, wenn ökologisch nur jene Ressourcen verbraucht werden und Schadstoffe entstehen, die langfristig ersetzbar bzw. für das Ökosystem verkraftbar sind. Hinzukommt als zusätzliche Dimension die soziale Nachhaltigkeit, die dann gegeben ist, wenn durch das Mobilitätssystem niemand ausgegrenzt oder benachteiligt wird und auch die nachkommenden Generationen noch in gleichem Maße mobil sein können. Schließlich gilt es die ökonomische Nachhaltigkeit zu berücksichtigen, wonach auf lange Sicht nur jene Verkehrsmittel zukunftsfähig sind, die finanziell auf einer auskömmlichen Basis stehen.
Fortbewegungsformen, die diesen Facetten entsprechen, sind klassischerweise das Zufußgehen und das Fahrradfahren. Doch auch motorisierte Verkehrsmittel, wenn sie mit erneuerbaren Energien und in öffentlicher bzw. geteilter Nutzung betrieben werden, zählen dazu.
Es fällt auf, dass die Grundsätze der sanften bzw. nachhaltigen Mobilität insgesamt gut zu den Wertvorstellungen kirchlicher und kirchennaher Einrichtungen passen: Bewahrung der Schöpfung, Andacht und Achtsamkeit und nicht zuletzt die soziale Teilhabe in der Gemeinschaft sind sicherlich anschlussfähige Attribute, die auch durch entsprechende Besorgungsweisen und Dienstleistungen unterstrichen werden können. Kirchen und kirchennahe Institutionen können hierbei als Vorbilder in den Gemeinden wirken und ganz praktisch demonstrieren, wie sich ihre Werte im Alltag umsetzen lassen. Und was verkörpert den Lebensalltag der Menschen besser als der Straßenverkehr? Die ausgewählten Maßnahmen orientieren sich im Folgenden an drei Ansatzpunkten, hier unter dem Kürzel „EVA“ zusammengefasst.
E wie Elektrifizierung
Die Elektrifizierung des eigenen Fuhrparks kann ein erster Ansatzpunkt sein, die Ausrichtung auf nachhaltige Mobilität zu demonstrieren. Immer mehr Autohersteller haben Elektrofahrzeuge im Angebot. Einige E-Fahrzeuge bieten genug Stauraum, um sie für kleine Besorgungen und Transporte einsetzen zu können.
Zwar sind E-Autos derzeit noch teurer als vergleichbare Fahrzeugmodelle mit Verbrennungsmotor, doch die
Batterieentwicklung lässt für die kommenden Jahre eine allmähliche Angleichung der Preise erwarten. Kostengünstiger ist der Einstieg im Zweiradbereich in Form von Pedelecs (Fahrrad mit elektrischer Trettunterstützung), die für kleinere Gemeindegebiete ohne größeren Transportbedarf praktikabel sein können.
Zum Aufladen des Akkus reicht hierbei eine haushaltsübliche Steckdose. Der Akku ist bei manchen Pedelecs entnehmbar.
Die Anschaffung größerer E-Fahrzeuge kann hingegen besonderen Infrastrukturbedarf nach sich ziehen, damit das Aufladen keinen halben Tag, sondern wenige Stunden in Anspruch nimmt. Je nach Grundstücksverhältnissen kann es für kirchliche Einrichtungen interessant sein, eine eigene Ladestation für Elektrofahrzeuge zu errichten. Eventuell kann diese neben dem Eigengebrauch auch Fremdfahrzeugen zugänglich gemacht werden. Damit der Einsatz für die sanfte und saubere Mobilität glaubhaft wird, ist es ratsam, zum Laden ausschließlich Ökostrom zu verwenden. Dies kann über den Bezug bei entsprechenden, nachhaltig erzeugenden Stromanbietern geschehen.
Unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes kann es für eine Kirchengemeinde aber auch interessant sein, selbst Ökostrom zu gewinnen, etwa durch die Installation einer Photovoltaikanlage auf Hausdächern. Ein mögliches Ziel könnte etwa das elektrische Gemeindefahrzeug sein, das zumindest teilweise mit Solarstrom vom Dach des Gemeindezentrums fährt und einen Parkplatz mit eigener Ladesäule hat.
V wie Vernetzung
Aktuell ist kein einzelnes Verkehrsmittel erkennbar, das alleine in der Lage wäre, das Privatauto mit Verbrennungsmotor vollständig zu ersetzen. Um ein vergleichbares Mobilitätsniveau zu bieten, braucht es daher die Summe verschiedener Mobilitätssysteme, die es intelligent zu vernetzen gilt.
Zudem ist der reine Austausch des Antriebs keine Lösung für die Platzprobleme, die uns heute Privatautos bereiten. Der durchschnittliche Privat-Pkw steht täglich viel länger ungenutzt herum, als dass er genutzt wird. Es ist daher erforderlich, die vorhandenen Fahrzeugplätze – Parkplatz wie Sitzplatz – effizienter auszulasten. Dies geht nur mit der schnellen Kommunikation freier Kapazitäten.
Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um eine technische, sondern auch um eine soziale Vernetzung. Sobald Mobilität weniger auf Privatbesitz basiert, sondern mehr auf öffentlich zugänglichen Fahrzeugen wie Leihfahrrädern, Carsharing oder Mitfahrplattformen, bestehen Chancen auf mehr soziale Teilhabe.
Ein erster Schritt könnte die Nutzung eines Gemeindefahrzeuges im Rahmen eines Hol- und Bringdienstes sein, um so nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Mitglieder einer Gemeinde mit neuen Antrieben und Mobilitätsformen in Berührung zu bringen.
Geht man noch einen Schritt weiter, ist die Bereitstellung eines E-Fahrzeuges zur öffentlichen Nutzung denkbar. So funktioniert z. B. das Projekt „Bodenseemobil/Emma“ nach dem Motto „Bürger fahren für Bürger“: Ein Elektroauto wird von ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürgern für einen Fahrdienst innerhalb einer ländlich geprägten Region genutzt.
Nutzende melden ihre Fahrtwünsche bis zu einer Stunde vorher an und werden an einem Haltepunkt in ihrer Nähe abgeholt. Das InnoZ hat dieses Projekt über mehrere Jahre forscherisch begleitet. Das Konzept besteht seit Ende des Förderzeitraumes fort. Grundsätzlich ist ein solcher Ansatz auch für Kirchengemeinden nach dem Motto „Gläubige fahren für Gläubige“ möglich. So ließen sich etwa Sammelfahrten zum Gottesdienst oder Ausflugsfahrten in die nähere Umgebung organisieren.
A wie Automatisierung
Automatisiertes oder gar autonomes Fahren liegt scheinbar noch in der Zukunft, rückt aber schnell näher. (6) In Teilen des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), etwa im Bus- oder Taxibereich, bilden die Personalkosten für professionelle Fahrer einen erheblichen Kostenanteil.
Es zeichnet sich ab, dass der Betrieb des öffentlichen Verkehrs in Zukunft immer mehr nutzerfinanziert erfolgen wird, während die öffentliche Hand sich auf Ausgaben für die Infrastrukturen konzentriert. Besonders in ländlich geprägten und dünnbesiedelten Gemeinden kann dies eine Herausforderung für die Aufrechterhaltung des ÖPNVs werden.
Das InnoZ führte seit Jahresende 2016 einen Probebetrieb mit einem fahrerlosen Shuttlebus auf dem EUREF-Campus in Berlin-Schöneberg durch. Ein fahrerloser Kleinbus mit nutzerabhängiger Routenführung ist durchaus als Zubringer zu kirchlichen Veranstaltungen in einem überschaubaren Gemeindegebiet denkbar.
Das „EVA-Prinzip“ folgt in der zeitlichen Reihenfolge dem Weg des „geringsten Widerstandes“: Die Beschaffung und der Einsatz eines Elektrofahrzeugs ist heute bereits praktikabel.
Der Aufbau eines vernetzten Mobilitätsangebotes ist hingegen schon etwas zeitaufwändiger und bedarf sicherlich einiger Überzeugungsarbeit. Diese dürfte aber umso leichter fallen, je mehr der eingangs erwähnte Bewusstseinswandel voranschreitet.
Die Automatisierung eines solchen Angebotes scheint derzeit noch „Zukunftsmusik“ zu sein, rückt aber ebenfalls in schnellen Schritten näher. Insgesamt bestehen für kirchliche und kirchennahe Einrichtungen also eine Menge Möglichkeiten, um Beschaffung, Flotten und etwaige Fahrdienste nach dem „EVA-Prinzip“ auszurichten und so Teil der Verkehrswende zu werden.