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Die Bedeutung des öffentlichen Einkaufs für eine „nachhaltige Digitalisierung“

Praxis-Empfehlungen für mehr Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung

Autor:
Dr. Moritz Philipp Koch

I. Einleitung
Immer mehr gesellschaftspolitische Debatten kreisen derzeit um die zentralen Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Diese steigende Aufmerksamkeit ist gerechtfertigt und wird ihren Höhepunkt erst erreichen, wenn die zentrale Verbindung zwischen beiden Themen noch deutlicher herausgearbeitet wird. Denn eine „nachhaltige Digitalisierung“ wird die zentrale Herausforderung und zugleich die größte Chance der kommenden Jahre sein.

Soll diese Chance genutzt werden, muss die öffentliche Hand in Bund, Ländern und Kommunen aktiv dazu beitragen. Weil öffentliche Auftraggeber an das Vergaberecht gebunden sind und sich ihre Partner für den Bezug von Leistungen und Dienstleistungen nicht frei aussuchen können, erlangt der öffentliche Einkauf eine zentrale Bedeutung für eine nachhaltige Digitalisierung. Aspekte der Nachhaltigkeit erlangen bereits über § 97 Abs. 3 GWB den Rang eines Vergabegrundsatzes („Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte“). Jede Vergabe wirft die Frage nach Mindestanforderungen auf, auch mit Blick auf Aspekte der Nachhaltigkeit. Diese Anforderungen müssen vor Beginn einer Beschaffung im Rahmen der Vorbereitung des Vergabeverfahrens in der Leistungsbeschreibung aufgestellt werden und können nachträglich grundsätzlich nicht mehr geändert werden. Schließlich ist an die Bedeutung der Zuschlagserteilung zu denken, durch die die Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots und damit des Vertragspartners zum Abschluss eines Vergabeverfahrens erfolgt. Zu den Zuschlagskriterien können ausdrücklich auch soziale und umweltbezogene Aspekte und damit Kriterien der Nachhaltigkeit gehören, so dass auch hier die Bedeutung der öffentlichen Beschaffung offenbar wird.

Beschafferinnen und Beschaffer trifft somit eine große Verantwortung, denn sie müssen im Rahmen ihrer Beschaffungen die Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung praktisch umsetzen. Wie das in der Praxis gelingen kann, wird in den folgenden Abschnitten dargestellt. Um Beschafferinnen und Beschaffer auf diesem Wege zu unterstützen, sollte sich auch die jeweilige Hausspitze einbringen und nachhaltige Beschaffungen als ein strategisches Ziel definieren und insbesondere durch den Abschluss von Kooperationen Nachhaltigkeit aktiv fördern.

II. Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung
Wie bereits erwähnt werden Aspekte der Nachhaltigkeit über § 97 Abs. 3 GWB in den Rang eines Vergabegrundsatzes gehoben. In diesem Abschnitt wird dargestellt, wie Beschafferinnen und Beschaffer dieser Bedeutung entsprechend handeln können. Dabei stehen vor allem die Beschreibung der Leistung und die Zuschlagskriterien im Fokus.

1. Erstellung der Leistungsbeschreibung
Eine zentrale Vorschrift im Hinblick auf die Beschreibung der Leistung ist § 31 VgV. Nach § 31 Abs. 2 VgV sind die Merkmale des Auftragsgegenstands in der Leistungsbeschreibung zu beschreiben. Gemäß § 31 Abs. 3 VgV können diese Merkmale auch Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen. Das Gesetz selbst gibt öffentlichen Auftraggebern somit die Möglichkeit, Aspekte der Nachhaltigkeit ganz maßgeblich im Rahmen der eigenen Beschaffungspraxis zu berücksichtigen. Auch wenn der Begriff Nachhaltigkeit nicht ausdrücklich verwendet wird, so handelt es sich bei den genannten „sozialen und umweltbezogenen Aspekten“ um Gesichtspunkte der Nachhaltigkeit.
Die Leistungsbeschreibung, die von Vergabepraktikern nicht selten als das „Herzstück des Vergabeverfahrens“ bezeichnet wird, ist somit ein wertvoller Anknüpfungspunkt für Auftraggeber, die in Zukunft nachhaltiger beschaffen wollen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Festlegung von Mindestkriterien. Einige öffentliche Auftraggeber agieren insoweit zurückhaltend, was mit Blick auf die strategische Bedeutung dieser Kriterien verständlich ist: Im Hinterkopf schwingt immer die Sorge mit, dass die Aufstellung zu vieler Mindestkriterien zur Folge hat, dass keine oder keine passenden Angebote abgegeben werden. Und dennoch: Wer es ernst meint mit Blick auf Aspekte der Nachhaltigkeit, der sollte die gesetzliche Möglichkeit nutzen und zumindest einige Aspekte als Mindestanforderungen definieren. Außerdem kann dem Risiko, keine oder keine passenden Angebote zu erhalten, durch eine Markterkundung erfolgreich begegnet werden. Wie das optimal gelingen kann, wird nachfolgend noch näher erläutert.

Die möglichen Bezugspunkte für entsprechende Kriterien in der Leistungsbeschreibung sind zahlreich und hängen – wie immer – vom konkreten Vergabegegenstand ab. In den Blick genommen werden können zunächst die Produktionsmethoden. Auch ein geringerer Materialverbrauch und eine Reduzierung von Emissionen und von Abfällen können geeignete Anknüpfungspunkte sein. Der Ausschluss bestimmter gefährlicher Substanzen (z.B. von Chemikalien) kann ebenfalls eine wichtige Mindestanforderung bilden. Schließlich ist auch die Frage der Wiederverwertbarkeit als relevanter Aspekt in Betracht zu ziehen. Die vorstehenden Punkte werden grundsätzlich den „umweltbezogenen“ Aspekten zuzuordnen sein. Daneben spielen – wie bereits erwähnt – auch „soziale Aspekte“ eine Rolle. Diese können mannigfaltig sein, zu nennen sind statt vieler hier nur „Fair Trade“, die Arbeitssicherheit und die Einhaltung der ILO-Vorgaben mit Blick auf Kinderarbeit. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass die Nachweisführung für Nachhaltigkeitskriterien mittels Gütezeichen (vgl. § 34 VgV) erfolgen kann, aber nicht der einzig denkbare Weg ist. ( Vgl. dazu im Einzelnen Lausen/Pustal, NZBau 2022, 3 ff.)

Öffentliche Auftraggeber sollten die vorgestellten Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei der Beschreibung der Leistungen proaktiv und freiwillig im ureigenen Interesse nutzen. Ob darüber hinaus weitergehende gesetzliche Regelungen erforderlich sind, die für einzelne Bereiche verpflichtende Anforderungen zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten enthalten, wie z.B. § 67 VgV und § 8c EU VOB/A für energieverbrauchsrelevante Waren, technische Geräte oder Ausrüstungen (Vgl. dazu näher Lausen/Pustal, NZBau 2022, 3 ff.), sollte regelmäßig geprüft werden. Eine Möglichkeit bestünde auch darin, den Erfolg derartiger Vorschriften innerhalb eines begrenzten Zeitraums zu testen und anschließend zu evaluieren.

2. Die Bedeutung der Markterkundung für nachhaltige Beschaffungen
Anknüpfend an die besondere Bedeutung, die der Beschreibung der Leistung – wie gesehen – für die Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Aspekte zukommt, verwundert es, dass die Relevanz der Markterkundung (vgl. § 28 VgV) nicht häufiger hervorgehoben wird. Die Markterkundung ist ein zentrales Instrument, um den eigenen Bedarf optimal zu decken und im Rahmen der Leistungsbeschreibung angemessen zu beschreiben. Möchten öffentliche Auftraggeber zukünftig nachhaltiger beschaffen, sollten sie verstärkt Markterkundungen vornehmen. Im Rahmen einer Markterkundung kann nämlich schnell und effizient festgestellt werden, ob – abhängig vom jeweiligen Beschaffungsgegenstand – nachhaltige Lösungen überhaupt in Betracht kommen bzw. zu welchen Konditionen eine nachhaltige Beschaffung möglich ist. Insbesondere die Frage, ob und inwiefern ein Wettbewerb um nachhaltige Lösungen bereits existiert und inwieweit nachhaltige und weniger bzw. nicht nachhaltige Lösungen konkurrieren, kann durch eine belastbare Markterkundung beantwortet werden. Der Verzicht auf eine Markterkundung ist daher ein häufiger Praxisfehler.

Ein wesentlicher Impulsgeber können im Rahmen von Markterkundungsgesprächen Unternehmen aus dem jeweiligen Bereich sein. Der Austausch mit der Wirtschaft wird für öffentliche Auftraggeber zunehmend relevanter, weil eine umfassende Marktkenntnis die Grundlage für eine optimale Bedarfsdeckung ist und Unternehmen ihrerseits das Thema Nachhaltigkeit verstärkt aufgreifen. Eine sinnvolle Reaktion seitens der öffentlichen Hand ist, dass einige – aber noch zu wenige – öffentliche Auftraggeber auf ein zentrales Lieferantenmanagement setzen, um ein professionelles Verhältnis und einen regelmäßigen Austausch mit den eigenen Lieferanten etablieren. (Zur Einführung eines zentralen Lieferantenmanagements vgl. umfassend Koch/Siegmund, MMR 2020, S. 366 ff. sowie Koch/Busche, https://www.egovernment-computing.de/lieferantenmanagement-wird-fuer-die-oeffentliche-verwaltung-wichtiger-a-1031783/ (zuletzt abgerufen am 13.03.2022).

Festzuhalten bleibt daher, dass die Durchführung einer Markterkundung ein wesentlicher Eckpfeiler für nachhaltigere Beschaffungen ist, idealerweise über ein geschultes und professionelles zentrales Lieferantenmanagement. Da eine Erkundung des Marktes auf vielerlei Art und Weisen möglich ist, ist das konkrete Vorgehen abhängig vom Beschaffungsgegenstand.

3. Erteilung des Zuschlags
Schließlich ist die Erteilung des Zuschlags genauer in den Blick zu nehmen. Vor Beginn einer Vergabe legen öffentliche Auftraggeber die Zuschlagskriterien fest. Dabei ist häufig das Preis-Leistungs-Verhältnis entscheidend dafür, wer das wirtschaftlichste Angebot abgibt und daher den Zuschlag erhält. Zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots können gemäß § 127 Abs. 1 S. 3 GWB sowie § 58 Abs. 2 VgV neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden. Diese Vorschrift ist auch vor dem Hintergrund des Vergabegrundsatzes in § 97 Abs. 3 GWB zu betrachten und im Lichte der jeweiligen Beschaffung zu konkretisieren. Abhängig vom jeweiligen Vergabegegenstand hat der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seines Leistungsbestimmungsrechts einen weiten Beurteilungsspielraum. (Vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.06.2016 - VII-Verg 49/15.)

Die Praxisbeispiele sind so vielfältig wie die möglichen Beschaffungsgegenstände selbst. Beispielhaft lassen sich bei der Beschaffung von Produkten z.B. Reparaturmöglichkeiten sowie Nutzungsverlängerungen nennen. Auch das entsprechende Verpackungsmaterial oder eine generelle Reduzierung des Verpackungsmaterials sind Anknüpfungspunkte. Über § 58 Abs. 2 VgV haben öffentliche Auftraggeber somit weitreichende Möglichkeiten, Aspekte der Nachhaltigkeit bei der Zuschlagserteilung zu berücksichtigen. Interessant ist ferner § 59 Abs. 1 VgV, wonach öffentliche Auftraggeber vorgeben können, dass das Zuschlagskriterium „Kosten“ auf der Grundlage der Lebenszykluskosten der Leistung berechnet wird. Dementsprechend besteht neben der Leistung auch mit Blick auf Preis/Kosten eine Möglichkeit, Gesichtspunkte der Nachhaltigkeit zu fokussieren. Diese Möglichkeit kann sich vor allem im Digitalisierungsumfeld als wertvoll erweisen, z.B. mit Blick auf die Vermeidung von Lock-in-Effekten, die vielen öffentlichen Auftraggebern im Digitalisierungskontext derzeit Kopfzerbrechen bereiten.

III. Verstärkter Rückgriff auf Kooperationen
Kooperationen werden zukünftig ein immer wichtigeres Element für die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern sein. Das verdeutlichen bereits die Entwicklungen im OZG-Kontext zu Fragen der Nachnutzung, für die das „Einer für Alle“-Prinzip etabliert wurde. (https://www.onlinezugangsgesetz.de/Webs/OZG/DE/umsetzung/nachnutzung/efa/efa-node.html (zuletzt abgerufen am 13.03.2022. )

Kooperationen basieren auf der Überlegung, dass mehrere Partner wechselseitig – im Idealfall langfristig – voneinander profitieren können, wenn sie zusammenarbeiten. (Zu den Potenzialen und Grenzen von IT-Kooperationen in der öffentlichen Verwaltung vgl. Koch/Siegmund/Siegmund, MMR 2021, S. 760 ff. )

Vor allem öffentlich-öffentliche Kooperationen, also Kooperationen zwischen Behörden oder sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts, können dazu beitragen, Aspekten der Nachhaltigkeit verstärkt Rechnung zu tragen. Daneben können auch Kooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen insoweit wertvolle Impulse bringen, weil dort Expertinnen und Experten bereits seit einiger Zeit verstärkt Ideen zu Nachhaltigkeitsfragen entwickeln. Insgesamt sind viele Kooperationsszenarien denkbar, weil sowohl die Zahl möglicher Kooperationsgegenstände als auch die Zahl denkbarer Kooperationspartner sehr groß ist. (Vgl. im Einzelnen Koch/Siegmund/Siegmund, MMR 2021, S. 760 ff.)

Ob und in welchem Umfang Kooperationen dem Vergaberecht unterliegen, ist eine Frage des Einzelfalles und wird sich oftmals nach § 108 GWB richten. (Vgl. dazu Koch/Siegmund/Siegmund, MMR 2021, S. 760 ff.)

Betrachtet man die Potenziale von Kooperationen konkret im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte, so kann sich bereits ein vergleichsweise formloser Erfahrungsaustausch mit Kooperationspartnern als schnelle Hilfe erweisen. Aber auch verbindlichere Formen von Kooperationen erscheinen insoweit vielversprechend. Um den Rahmen dieses Beitrags nicht zu sprengen, muss an dieser Stelle der Hinweis genügen, dass die wesentlichen Potenziale von Kooperationen mit Blick auf eine nachhaltige Digitalisierung unbedingt genutzt werden müssen. Kooperationen können aufgrund der Zusammenarbeit unnötige Doppelarbeiten vermeiden und bereits dadurch nachhaltiger sein. Aufwände können teils erheblich reduziert werden. Gleichzeitig kann eine Beschleunigung durch die Verbindung von Wissen erreicht werden und zugleich der Blick auf wichtige Themen – wie Aspekte der Nachhaltigkeit – gestärkt werden. Öffentliche Auftraggeber sollten die Potenziale von Kooperationen gezielt nutzen. Da Kooperationen Vergaberelevanz aufweisen können, sollten sie zentral im Einkauf geschlossen werden. Dies verdeutlicht einmal mehr die Relevanz der Beschafferinnen und Beschaffer für eine nachhaltige Digitalisierung. Die jeweilige Hausspitze sollte das Thema Kooperationen gezielt fördern.

VII. Fazit und Ausblick
Die Betrachtungen belegen, dass öffentliche Auftraggeber schon heute über vielfältige Möglichkeiten verfügen, um Aspekte der Nachhaltigkeit in der eigenen Beschaffungspraxis zu etablieren. Öffentliche Auftraggeber sollten die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten daher sowohl im Rahmen der Beschreibung der Leistung als auch mit Blick auf die Zuschlagskriterien zukünftig noch stärker berücksichtigen. Idealerweise wird diese Entwicklung von der jeweiligen Hierarchie gefördert und als strategisches Ziel eingeordnet.
In den kommenden Monaten und Jahren muss die Umsetzung in der Praxis weiter Fahrt aufnehmen, vor allem Kooperationsmöglichkeiten können dabei eine wichtige Rolle spielen. Als eine weitere interessante Schnittstelle mit zusätzlichen Potenzialen kann sich dabei die Verbindung von Nachhaltigkeit und Innovation erweisen. Im Rahmen innovativer Beschaffungsinstrumente können nachhaltige Lösungen noch effizienter beschafft werden.

Insgesamt wird der zentrale Erfolgsfaktor sein, ob (nur) über Nachhaltigkeit diskutiert wird, oder aber ob Nachhaltigkeit in der Praxis tatsächlich gelebt wird. Letzteres ist erst der Fall, wenn sich öffentliche Auftraggeber bei jeder Vergabe Fragen, ob und wie Gesichtspunkte der Nachhaltigkeit optimal Berücksichtigung finden können.

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