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Nachhaltigkeit und Qualitätswettbewerb bei der Auftragsvergabe

Das Rad einer nachhaltigen Beschaffung brauche man nicht neu zu erfinden, sagt Friederike Mussgnug, die stellvertretende Leiterin des Zentrums Recht und Wirtschaft der Diakonie Deutschland. Sie verweist auf kostenfreie Beratungsstellen. Worauf kommt es noch an bei der ökologisch nachhaltigen Ausschreibung sozialer Dienstleistungen? Im Gastbeitrag gibt die Expertin Auskunft.

Autorin
Friederike Mussgnug, Diakonie Deutschland
Stellvertretende Leiterin des Zentrums Recht und Wirtschaft der Diakonie Deutschland

Ausschreibungen sozialer Dienstleistungen führen oft zu Schwierigkeiten. Folgendes Beispiel soll das illustrieren: Eine Gemeinde will eine Schuldnerberatungsstelle einrichten, die Wege aus der Überschuldung bahnen und Präventionsarbeit leisten soll. Auf der Suche nach einem Betreiber dieser Stelle veröffentlicht sie die Leistungsanforderungen und fordert interessierte Dienstleister auf, Angebote zu unterbreiten. Der Anbieter, der ihre Vorstellungen zum niedrigsten Preis umsetzt, soll den auf vier Jahre befristeten Auftrag zum Betrieb der Schuldnerberatungsstelle erhalten.

Ausschreibungen sozialer Dienstleistungen wie die oben beispielhaft beschriebene bereiten Sozialunternehmen seit 20 Jahren Probleme. Häufig löst die Auftragsvergabe - oft unter Verweis auf das Europarecht - eine langjährige Zusammenarbeit ab. Einseitige Vorgaben der Auftraggeber lassen Sozialunternehmen kaum Spielraum, ihre Fachlichkeit einzubringen. Anstatt innovativen Ansätzen Raum zu geben und diese angemessen zu vergüten, fragen viele Auftraggeber nur Standardleistungen nach und „prämieren“ den billigsten Preis.

Die Unsicherheit, ob ein Anbieter seinen Auftrag verlängern kann, betrifft auch die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeitenden - in Zeiten des Fachkräftemangels ein fatales Signal. Das hat Folgen. Anbieter ziehen sich zunehmend aus einem Wettbewerb zurück, bei dem der Verfahrensaufwand in keinem Verhältnis zu den Erfolgsaussichten steht. Die Folgen dieser Situation tragen die, die die Sozialleistungen erbringen müssen und die, die auf die beschafften Leistungen angewiesen sind.

Dabei müsste die Situation gar nicht so prekär sein. Im Vergaberecht gibt es Stellschrauben für sozial und ökologisch nachhaltige Ausschreibungen, die im Folgenden vorgestellt werden. Zudem schreibt das Sozialrecht nur für den Fall der Integrationsbetriebe ausdrücklich vor, Sozialleistungen über Auftragsvergaben bereitzustellen. Meist lässt es Raum für sozialrechtliche Zulassungsverträge oder die sogenannte Zuwendungsfinanzierung, die, wie die Auftragsvergabe, Wettbewerb schaffen und dem Wirtschaftlichkeitsgebot unterliegen - aber eben nicht auszuschreiben sind.

1. Beschaffung ist mehr als Ausschreibung
Das Vergabeverfahren ist nur ein Teil eines Beschaffungsvorgangs. Dieser beginnt, sobald eine Behörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben Sachgüter oder Dienstleistungen wie etwa die Schuldnerberatung benötigt. Die förmliche Ausschreibung zur Auswahl des Anbieters verlangt sorgfältige Vorbereitung. Hierbei sind Markterkundungen hilfreich. Sie zeigen, ob und wie das Gesuchte bereits angeboten wird und welche Vergütungen (etwa für Beratungspersonen) üblich sind. Auch nach Abschluss der Ausschreibung geht die Beschaffung mit dem Vertragsschluss und der Vertragserfüllung weiter.

2. Kommunikation ist alles
Meist arbeiten Kommunen bei der Beschaffung arbeitsteilig: die Fachabteilung, zum Beispiel das Sozialdezernat, meldet einen Bedarf. Die Beschaffungsstelle gestaltet den Beschaffungsprozess. Je besser beide Stellen dabei auf Augenhöhe zusammenarbeiten, desto eher finden sie zügig einen geeigneten Vertragspartner. Gerade bei der Beschaffung sozialer Dienstleistungen ist auch Verständnis der Beschaffungsstelle für das Sozialrecht wichtig. Sie muss akzeptieren, wenn das Sozialdezernat der Ansicht ist, dass sich die Errichtung einer Schuldnerberatungsstelle doch besser über öffentliche Förderung oder einen Zulassungsvertrag regeln lässt.

3. Wirtschaftlich contra billig
Leistungsträger unterliegen der Vorgabe des Wirtschaftlichkeitsgebots. Bei der Auftragsvergabe ist deshalb der Zuschlag für das Angebot zu erteilen, bei dem die zu erwartenden Kosten zu der angebotenen Leistung im günstigsten Verhältnis stehen. Dieses wirtschaftlichste ist jedoch nur in Ausnahmefällen auch das billigste Angebot.

Den Unterschied zwischen wirtschaftlich und billig verdeutlicht das Konzept der Lebenszykluskosten sehr eindrücklich. Es berücksichtigt auch jene Kosten, die während der Nutzungsdauer eines Gegenstands für dessen Betrieb, Instandhaltung und Entsorgung entstehen. So ist etwa ein Billigcomputer, der während seiner kurzen Lebensdauer viel Energie verbraucht und oft in der Reparatur ist, nur bei der Anschaffung günstig. Auf lange Sicht ist er kostspieliger als das nachhaltigere Konkurrenzangebot.

Dieses Konzept lässt sich auf die Ausschreibung von Dienstleistungen übertragen. Denn viele Aufträge weisen auch Elemente auf, bei denen Sachgüter zum Einsatz kommen und einzupreisen sind (zum Beispiel Cateringausstattung und Fahrdienste). Damit besteht hier auch Raum für Kalkulationen, die über bloße Anschaffungspreise hinausgehen.

4. Können wir es uns leisten, auf Nachhaltigkeit zu verzichten?
Viele beschaffende Kommunen befinden sich in finanziell angespannter Lage. Trotzdem muss bei Beschaffungen im sozialen Bereich neben der ökonomischen auch die ökologische und soziale Nachhaltigkeit zur Geltung kommen. Die Sustainable Development Goals (SDGs) der UN geben Anhaltspunkte, wie sich der weit gefasste Nachhaltigkeitsbegriff konkretisieren lässt. Hinsichtlich der ökologischen Nachhaltigkeit sind Bund, Länder und Gemeinden schon jetzt in allen Arbeitsfeldern verpflichtet, Zweck und Ziele des Klimaschutzgesetzes zu berücksichtigen.

Das Rad einer nachhaltigen Beschaffung braucht man nicht neu zu erfinden. Es gibt Beratungsstellen, die kostenfrei wertvolle Unterstützung leisten - wenn man sie anfragt. Es wird Zeit, dass die Leistungsträger deren Knowhow in Anspruch nehmen, um dieses Wissen für Beschaffungen im sozialen Bereich zu nutzen. Dass die Neuausrichtung der Beschaffung auf Nachhaltigkeit herausfordernd ist, ist unbestritten. Gleichwohl gilt: Die Verfahrensgestaltungen, die jetzt eingeübt werden müssen, gibt es nicht erst seit gestern. Im siebten Jahr seit Inkrafttreten der Vergaberechtsreform und angesichts der anstehenden sozial-ökologischen Transformation ist es höchste Zeit, dass sich die Leistungsträger ihres gesamten Vergaberechts bedienen.

 

Der Artikel wurde erstmals in der epd sozial veröffentlicht

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