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Nachhaltigkeit im Verbraucheralltag

Ohne Mut geht es nicht
Damit Verbraucher nachhaltig konsumieren können, muss die Bundesregierung noch einige Weichen stellen. Zwei Jahre nach Verabschiedung des Nationalen Programms für nachhaltigen Konsum ist für Verbraucher bisher nicht viel passiert. Der neue Koalitionsvertrag lässt auf den ersten Blick hoffen, bleibt jedoch in den Vorschlägen vage.

Die Bundesregierung hat die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDGs) unterzeichnet und damit eine Richtschnur für ihr politisches Handeln formuliert. Das Nationale Programm für nachhaltigen Konsum (NPNK) soll dem globalen Nachhaltigkeitsziel SDG 12 „Nachhaltige Produktions- und Konsummuster sicherstellen“ näher kommen.

Bisher sind allerdings laut einer repräsentativen forsa-Umfrage von November 2017 im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) nur vier von zehn Bundesbürgern die globalen Nachhaltigkeitsziele ein Begriff.

Vor zwei Jahren, im Februar 2016, hat die Bundesregierung das NPNK verabschiedet, prominent eingeleitet von drei Bundesministern: Umweltministerin Barbara Hendricks, Verbraucherschutzminister Heiko Maas und Ernährungsminister Christian Schmidt.

Drei Ministerien wollen dem nachhaltigen Konsum mit einem 70-seitigen Programm gemeinsam aus der Nische in den Mainstream verhelfen. Dieser hohe Anspruch deckt sich jedoch noch nicht mit der Realität, denn hier geht es nur in kleinen Schritten voran.

Dabei geht es um viel: Um unseren persönlichen Konsum, um Preise, um nachhaltige Lieferketten und damit auch um die Frage nach einer besseren Wirtschaftsweise.

Verbraucherschützer begleiteten das Programm von Beginn an konstruktiv. Auch der vzbv fragte sich, welche sichtbaren Ergebnisse nach zwei Jahren eines Regierungsprogramms zu erwarten sind. Aus verbraucherpolitischer Sicht lassen sich anhand von drei Beispielen die Schwächen des Programms aufzeigen:


Eine ressortübergreifende Verankerung fehlt

Das NPNK hat unter anderem ein Kapitel zu Mobilität. Konkret plante die vorherige Bundesregierung, den Öffentlichen Personennahverkehr auszubauen und das Radwegenetz zu stärken. Das sind aus Sicht des vzbv sinnvolle Maßnahmen, von denen Verbraucher und die Umwelt direkt und sichtbar profitieren.
Leider kann sich das zuständige Bundesverkehrsministerium darüber hinaus bislang nicht mit Maßnahmen und Ideen zur Förderung von Nachhaltigkeit rühmen, sondern macht Negativschlagzeilen zum Dieselskandal. Besonders die Bundesministerien für Wirtschaft und Energie, Verkehr, Arbeit und Soziales sowie das Auswärtige Amt müssen mehr Engagement und Verantwortung zeigen. Eine federführende Stelle, die die Umsetzung der geplanten Maßnahmen der einzelnen Ministerien vorantreibt, wäre daher zielführend.

Verbraucher müssen die Verantwortung allein schultern
Bereits der Titel „Nationales Programm für nachhaltigen Konsum“ erweckt einen falschen Eindruck. Nachhaltiger Konsum muss zwangsläufig im Kontext von nachhaltiger Produktion diskutiert werden. Sind die Wertschöpfungsketten, also der Weg vom Acker oder Steinbruch bis zur Konfektion unser Produkte, nachhaltig, haben es Verbraucher bei ihrer Konsumentscheidung leichter. Ein Programm, das nur die Nachfrager adressiert, bleibt auf der Hälfte des Weges stehen. Verbraucher können die Verantwortung für nachhaltigen Konsum nicht alleine schultern. Wie SDG 12 es fordert, darf die Produktionsperspektive von der Politik nicht mehr ausgeklammert werden.

Es fehlt an Verbindlichkeit und strategischer Planung
Zudem mangelt es vielen Maßnahmen an Verbindlichkeit und einem konkreten Zeit- und Finanzierungsplan. Im Bildungskapitel des NPNK heißt es zum Beispiel, dass die Finanzierung von bestehenden Angeboten, wie dem Materialkompass des vzbv, ein Schulportal für Verbraucherbildung, sichergestellt werden soll. Das Portal bewertet unabhängig und wissenschaftlich Unterrichtsmaterialien zu nachhaltigem Konsum. In der Realität wurde das Portal Ende 2017 aufgrund fehlender Weiterfinanzierung eingestellt, hoffentlich wird die neue Regierung das Portal wiederbeleben.

Mit Blick zurück nach vorn: Die Bundesregierung muss handeln
Ein Blick zurück zeigt: Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren drei größere Konferenzen veranstaltet, um sich ein Netzwerk für nachhaltigen Konsum aufzubauen und interessierte Initiativen und Stakeholder über ihr Programm zu informieren. Das ist gut so. Zudem wurde feierlich das Kompetenzzentrum nachhaltiger Konsum beim Umweltbundesamt eröffnet.

Sichtbare Veränderungen im Alltag der Verbraucher fehlen bislang. Übrigens glauben weniger als zehn Prozent der Verbraucher, dass sich die globalen Nachhaltigkeitsziele durch freiwillige Maßnahmen und Verhaltensänderungen der Unternehmen und der Bürger erreichen lassen. Die große Mehrheit hält konkrete Vorschriften und Gesetze für erforderlich. Die Umfrage ergab, dass die Politik handeln muss.

Der Blick nach vorne zeigt: Die Planungen von Union und SPD im Koalitionsvertrag bleiben eher unkonkret. Im Umweltkapitel heißt es zwar, die Agenda 2030 und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung seien Maßstab des Regierungshandelns. Außerdem solle das Nationale Programm für nachhaltigen Konsum weiterentwickelt und das Kompetenzzentrum weiter gestärkt werden. Doch was heißt das für die neue Legislaturperiode ganz konkret? Aus Sicht des Verbraucherschutzes muss die neue Bundesregierung ihre Vorhaben konkretisieren und neben dem Konsum auch die Produktion einbeziehen.

Das Kompetenzzentrum nachhaltiger Konsum muss um eine Verbraucherperspektive bereichert werden. Um den gesellschaftlichen Diskurs zu stärken, muss nachhaltiger Konsum in seiner ökologischen wie auch sozialen Dimension von der Bundes- bis auf die Kommunalebene diskutiert werden. So gibt es auch die Agenda 2030 der Vereinten Nationen vor. Das Kompetenzzentrum sollte mit Verbrauchern vor Ort interagieren und ihnen niederschwellige und breit aufgestellte Informations- und Beratungsangebote zur Verfügung stellen. So könnte das Kompetenzzentrum für stärkere Kohärenz der unterschiedlichen Maßnahmen sorgen und als Anlaufstelle und Multiplikator für alle Beteiligten dienen. „Experimentierräume“ könnten nachhaltigen Konsum für Verbraucher erlebbar machen. Soziale Innovationen wie Repair Cafés, food sharing oder urban gardening sind Ausgangspunkte dafür.

Darüber hinaus sollten weitere politische Maßnahmen den Verbraucheralltag einfacher und nachhaltiger machen. Dazu gehören:

  • staatliche Mindestanforderungen für eine sozial und ökologisch verantwortliche Produktion schaffen
  • Orientierung im Siegeldschungel bieten durch wenige, vertrauenswürdige Siegel
  • ein „Recht auf Reparatur“ einführen, um die Nutzungs- und Lebensdauer von Produkten zu verlängern
  • das Kompetenzzentrum nachhaltiger Konsum so ausgestalten, dass es Verbraucher auch vor Ort adressiert
  • zügig den Materialkompass mit geprüften Unterrichtsmaterialien zu nachhaltigem Konsum wiedereinführen.

Es liegt in der Hand der Bundesregierung, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass nachhaltiger Konsum einfach und für Verbraucher zur ersten Wahl wird. Deutschland braucht Gesetzesinitiativen, die dazu beitragen, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und Anreize für Produzenten, Handel und Verbraucher zu schaffen. Bei der Umsetzung ist zweifelsohne Mut gefragt. Doch dieser Mut ist notwendig, wenn Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen will. Nachhaltiger Konsum muss global gedacht, national verankert und gesamtgesellschaftlich gelebt werden.

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