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Morsezeichen des Recyclingszeitalters

Im Jahr 2021 sind wir mit der Kreislaufwirtschaft dabei, Materialströme und Produktionsprozesse vollkommen neu zu denken. Technisch ist die Schließung von Materialkreisläufen – mit „Design for Recycling“ und Rezklateinsatz in Neuwaren - regelmäßig längst kein Problem mehr.

Autor
Jens Loschwitz
BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V.

Samuel Morse gelang es vor fast 200 Jahren, elektrische Signale in Sprache zu verwandeln. Seine Erfindung revolutionierte die Kommunikation. Im Nachhinein klingt der Startschuss in ein neues (Kommunikations-) Zeitalter einfach. Tatsächlich suchte der Erfinder Morse lange vergeblich nach Investoren für eine Telegrafenleitung. Letztlich bewilligte schließlich der US-Kongress den Bau einer rund 60 Kilometer langen Verbindung zwischen Baltimore und Washington.

Im Jahr 2021 sind wir mit der Kreislaufwirtschaft dabei, Materialströme und Produktionsprozesse vollkommen neu zu denken. Technisch ist die Schließung von Materialkreisläufen – mit „Design for Recycling“ und Rezklateinsatz in Neuwaren - regelmäßig längst kein Problem mehr. Durch intelligente Strategien und einen reduzierten Materialverbrauch kann die Kreislaufwirtschaft die globalen Treibhausgasemissionen um 39 Prozent und den Rohstoffverbrauch um 28 Prozent senken. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Circularity Gap Report. Die politische Erkenntnis der Notwendigkeit, Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abzukoppeln, hat den Green Deal der EU-Kommission auf den Weg gebracht. Der neue EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft (KOM-Drs. 2020/98) ist auch für den Wirtschaftsstandort zuversichtlich: Bei Anwendung der Grundsätze der Kreislaufwirtschaft in der gesamten Wirtschaft der EU könnte es gelingen, das BIP der EU bis 2030 um zusätzliche 0,5% zu steigern und etwa 700 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Obwohl die „Morsezeichen des Recyclingszeitalters“ deutlich erkennbar sind, kommt die Transformation zur Kreislaufwirtschaft nicht voran. Was fehlt? Vor allem eine massive Nachfrage, die über Nischenprodukte und Pilotprojekte hinausgeht. Letztlich entscheidet immer der Kunde beim Einkauf über den Erfolg von Innovationen. Das gilt für den Endverbraucher ebenso wie die (aufgrund des Auftragvolumens viel wirkmächtigere) öffentliche Hand. Die Nachfrage bestimmt, ob Neuheiten eingeführt werden und breit in allen Marktsegmenten vertrieben werden. Das gilt nicht zuletzt für die bewusste Kaufentscheidung für Produkte mit (klimapolitisch wie ökologisch vorteilhaftem) Rezyklateinsatz. Diese Nachfrage muss stabilisiert werden. Auch daher brauchen wir Mindesteinsatzquoten.

Es ist bezeichnend, dass die Wirtschaftswissenschaften ein breites Verständnis von Innovationen haben und darunter „mit technischem, sozialem und wirtschaftlichem Wandel“ einhergehende Neuerungen verstehen. Es ist daher konsequent, wenn auch die Sustainable Development Goals (SDGs) der Agenda 2030 ein breites Verständnis von Nachhaltigkeit von Umwelt bis hin zur Unternehmensführung haben. Taktgeber und Innovationsmotor der Nachhaltigkeit ist freilich die Transformation zur Kreislaufwirtschaft. Sie gilt es, mit der Wucht der Beschaffung durch die öffentliche Hand voranzutreiben und so den Schritt ins Recyclingzeitalter zu gehen. Die Einkäufer in Kommunen, Land und Bund sind der maßgebliche Hebel: Die öffentliche Hand kauft laut UBA im Jahr für rund 500 Milliarden Euro ein – von Bleistiften bis zu Bussen für den öffentlichen Personennahverkehr.
Auf Bundesebene gibt es bereits die Pflicht, nachhaltig ökologisch zu beschaffen. Weitere Leitplanken der Gesetzgeber zeichnen sich ab: So hat sich der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments Anfang 2021 dafür ausgesprochen, für weitere Produkte oder Sektoren verbindliche Mindestgehalte an Recyclingmaterial festzulegen. Auch die Produktgestaltung („Design for Recycling“) wird immer breiter und für mehr Sektoren gedacht.

Für die Umsetzung des politischen Ziels, eine CO2-neutrale, ökologisch nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu erzielen, braucht es Instrumente. Den größten Hebel haben dabei die Beschaffer in der Hand. Sicher ist: Der Erfolgsparameter der öffentlichen Beschaffung im Jahr 2030 wird intelligenter Materialverbrauch sein. Mit gelebter Kreislaufwirtschaft muss und wird der Rezyklateinsatz künftig selbstverständlich sein.

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