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Nachhaltiges Bauen (Green Building), Teil 1

In einer vom Umweltbundesamt vorgelegten Publikation zum Thema „Nachhaltiges Bauen und Wohnen“ kommen die Autoren zum Ergebnis, dass das Bedürfnisfeld „Bauen und Wohnen“ in erheblichem Maße zum Klimawandel beiträgt. Um Bauprodukte wie etwa Ziegel, Steine, Zement, Styropor oder Stahlträger herzustellen, die Baumaterialien zu transportieren, neue Eigenheime und Wohnungen zu bauen, den vorhandenen Wohnungsbestand zu sanieren und die Gebäude mit Licht und Heizenergie zu versorgen, ist in aller Regel viel Energie vonnöten. Insgesamt verbrauchen Gebäude in Deutschland 34,4% des Endenergieverbrauchs und sind für etwa 30% der CO2-Emissionen verantwortlich.

Autoren
Dr. Oliver Foltin und Prof. Dr. Volker Teichert sind wissenschaftliche Referenten im Bereich Frieden und Nachhaltige der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST).

Nachhaltiges Bauen und energetische Sanierungen bieten vor diesem Hintergrund ein enormes Energieeinsparpotenzial. Darüber hinaus bestätigen Studien, dass Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden eine vergleichsweise günstige Form des CO2-Einsparens sind. Das gilt beispielsweise für das Dämmen von Fassaden, moderne Heizungs- und Klimatisierungssysteme sowie eine effiziente Beleuchtung. Nachhaltig konstruierte Gebäude haben sowohl ökologische als auch ökonomische Effekte. Als Langfristziel
wird von der Bundesregierung bis 2050 der klimaneutrale Gebäudebestand formuliert.

„Auf dem Weg zum nahezu klimaneutralen Gebäudebestand ist das Jahr 2030 eine wichtige Etappe. Denn wegen der langen Lebensdauer von Gebäuden gilt insbesondere in diesem Handlungsfeld, dass bis zum Jahr 2030 die Basis dafür gelegt sein muss, dass das Ziel eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestands im Jahr 2050 erreicht werden kann.

Gemäß dem Zwischenziel für 2030 müssen die Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich auf 70 bis 72 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente bis 2030 gemindert werden. Um langfristig einen nahezu klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen, muss deutlich mehr und deutlich schneller in die energetische Optimierung des heutigen Bestands investiert werden. Spätestens im Jahr 2030 müssen die politischen Rahmenbedingungen so ausgestaltet sein, dass die energetische Sanierung von Gebäuden dem Anspruch eines
nahezu klimaneutralen Gebäudebestands weitgehend genügt.“

Die ökologischen Chancen nachhaltiger Gebäude liegen vor allem im vorhandenen Gebäudebestand, da dessen Energieeffizienz im Vergleich zu heutigen Neubauten meist schlecht ist. Hier wurden die Möglichkeiten bislang nicht ausgeschöpft.

EU-Gebäuderichtlinie
Die Europäische Union (EU) hat 2002 erstmals als Folge des Kyoto-Abkommens die „Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden“ (EU-Gebäuderichtlinie / „Energy Performance of Buildings Directive, EPBD) verabschiedet, die 2010 und 2018 von den EU-Mitgliedstaaten novelliert wurde. Die neu gefasste „Richtlinie (EU) 2018/844 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden und der Richtlinie 2012/27/
EU über Energieeffizienz“ sieht folgende Elemente vor:

  • Methode zur Berechnung der Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden und Gebäudeteilen;
  • Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz neuer Gebäude und Gebäudeteile;
  • Anwendung von Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz von bestehenden Gebäuden;
  • Pläne zur Erhöhung der Zahl der Niedrigstenergiegebäude;
  • Erstellung von Energieausweisen für Gebäude oder Gebäudeteile;
  • regelmäßige Inspektionen von Heizungs- und Klimaanlagen in Gebäuden;
  • unabhängige Kontrollsysteme über die Gesamtenergieeffizienz.

Weiter sieht die europäische Gebäuderichtlinie vor, bis 2050 die Treibhausgasemissionen zu verringern und den Gebäudebestand, der ungefähr 36% aller CO2-Emissionen in der EU ausmacht, zu dekarbonisieren. In den Mitgliedstaaten soll ein Gleichgewicht zwischen einer Dekarbonisierung der Energieversorgung und der Reduzierung des Endenergieverbrauchs angestrebt werden. Zu diesem Zweck sollen die Mitgliedstaaten nationale Meilensteine und Maßnahmen zur Energieeffizienz festlegen, um die kurzfristigen (2030), mittelfristigen (2040) und langfristigen (2050) Ziele zu verwirklichen. Mit Blick auf die Ziele ist es angesichts der übergreifenden Vorgaben der EU zur Energieeffizienz wichtig, dass die
Mitgliedstaaten die Ergebnisse ihrer langfristigen Klimaschutzbemühungen angeben und Entwicklungen beobachten, indem sie Fortschrittsindikatoren festlegen.

Um einen energieeffizienten und dekarbonisierten Gebäudebestand zu erhalten, sollen nach der europäischen Gebäuderichtlinie die Mitgliedstaaten angemessene Maßnahmen erlassen, um die Energieeffizienz neu installierter, ersetzter oder modernisierter gebäudetechnischer Systeme, wie etwa für Heizenergie, Klimatisierung oder Warmwasserzubereitung, durch eine Zertifizierung von Gebäuden und die Überprüfung der Einhaltung der Anforderungen zu dokumentieren.

In Deutschland sollen mit dem „Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden“ (Gebäudeenergiegesetz, GEG) die Anforderungen an die europäische Gebäuderichtlinie umgesetzt werden. Das Gesetz wird am 1. November 2020 in Kraft treten und das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG), das Energieeinsparungsgesetz (EnEG) und die Energieeinsparverordnung (EnEV) ersetzen. Das GEG wurde am 13. August 2020 im Bundesgesetzblatt verkündet.

Gebäudezertifizierungssysteme
Das amerikanische „Leadership in Energy and Environmental Design“ (LEED) gehört zu den weltweit verbreitetsten Gebäudezertifizierungssystemen. Es wurde bereits in den 1990er Jahren etabliert. Das System der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) hingegen trat erst 2007 in Kraft. Es ist ein System der so genannten zweiten Generation, da es neben den ökologischen auch ökonomische und soziokulturelle Aspekte in die Bewertung einbezieht. Es ist zurzeit wohl das umfassendste System. Zudem findet innerhalb Europas eine Harmonisierung und Verschärfung der Bauvorschriften statt. Dadurch erhöht sich das ökologische Niveau des Bausektors und nachhaltige Merkmale werden zur Abgrenzung
immer wichtiger.

Die Bezeichnung für ein „nachhaltiges Gebäude“ reichen vom Niedrigenergiehaus über das Passivhaus bis hin zum „green building“, bei dem nicht nur Fragen der Energieeffizienz, sondern auch der Ressourcenintensität und gesundheitliche Aspekte wie ein verbessertes Raumklima eine Rolle spielen. Im Folgenden werden die zwei wichtigsten Zertifizierungssysteme detailliert vorgestellt

Leadership in Energy and Environmental Design (LEED)
Das LEED-Zertifikat ist das US-amerikanische System zur Klassifizierung nachhaltiger Gebäude. Es wurde 1998 vom U.S. Green Building Council (USGBC) ins Leben gerufen, um die Standards und Technologien des „grünen Bauens“ weiterzuentwickeln und die Umwandlung von Bestandsimmobilien zu fördern. Das LEED-Zertifikat ist inzwischen international als Referenz für die Planung, den Bau und den Betrieb nachhaltiger Gebäude anerkannt: Es wird in über 167 Ländern weltweit eingesetzt.

Der U.S. Green Building Council ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Washington. Sie arbeitet in mehreren Ausschüssen. Der Vorstand ist für die Ausformulierung der Aufgaben, Ziele und Werte von U.S. Green Building Council verantwortlich.

Das Green Business Certification Inc. (GBCI) (ehemals Green Building Certification Institute) kümmert sich seit 2009 um die Verwaltung der Zertifizierung nach LEED. Die Aufteilung in
zwei Organisationen soll die Unabhängigkeit und Objektivität der Weiterentwicklung des Systems und gleichzeitig der Zertifizierung gewährleisten.

Seit 2018 gibt es die LEED v4.1 Zertifizierung als Update der LEED v4 Zertifizierung von 2009.9

Anwendungsbereiche
Es gibt mehrere Anwendungsbereiche und Gebäudetypen, die nach unterschiedlichen Bewertungssystemen zertifiziert werden können:

  • Gebäudegestaltung und Konstruktion (Building Design & Construction): Neubauten, Renovierungen, Rohbauten, Schulen, Einzelhandel, Rechenzentren, Lagerhallen, Verteilzentren, Gaststätten und Krankenhäuser.
  • Betriebe und Instandhaltung (Operations & Maintenance): Bestehende Gebäude und bestehende Innenausstattung.
  • Innenausbau und Rohbauten (Interior Design & Construction): gewerbliche Innenausstattung, Einzelhandel und Gaststätten.
  • Wohnviertel und Wohnquartiere (Residentials and Homes): Einzel- und Mehrfamilienhäuser.
  • Städte und Gemeinden (Cities and Communities): neu entstehende oder geplante und existierende Städte und Gemeinden.
  • Rezertifizierung (Recertification).

Alle Anwendungsbereiche verfügen über unterschiedliche Bewertungsprozesse, um die individuelle Nutzung der Gebäudetypen zu berücksichtigen und um eine bessere Vergleichbarkeit zu erreichen. Im Allgemeinen lässt sich jede Projektbewertung in folgende Schritte einteilen:

  • Projektregistrierung ermöglicht den Zugang zu allen LEEDTools, die für eine erfolgreiche Zertifizierung unerlässlich sind,
  • Vorbereitung der Bewerbung dient dazu, alle notwendigen Informationen, Rechnungen und Dokumente zusammenzustellen, die für die Zertifizierung wichtig sind,
  • Einreichung der Bewerbung,
  • Durchsicht der Bewerbung auf Fehler und fehlende Dokumente durch das Green Business Certification Inc. (GBCI),
  • Entscheidung und darauf folgende Zertifizierung oder Ablehnung des Projektantrages.

Die Bewertung der Gebäude erfolgt durch eine Punktevergabe für einzelne Kriterien. Je nach Gebäudetyp sind die neun Themenfelder anders gewichtet, jedes hat seine eigene Höchstpunktzahl. Diese gilt es am Ende der Bewertung zusammenzuzählen und auf dieser Grundlage kann je nach Abschneiden ein Zertifikat ausgestellt werden. Das LEED-System bezieht sich auf alle Phasen des Lebenszyklus.

Beurteilungskategorien
Um ein Zertifikat zu erhalten, ist die Überprüfung folgender neun Kategorien erforderlich.

  • Integrativer Prozess (Analyse der Wechselbeziehungen unter den Kategorien),
  • Nachhaltiges Baugelände (Auswirkungen auf das Ökosystem),
  • Lage und Verkehrsanbindung (Öffentlicher Nahverkehr, Möglichkeiten zu körperlichen Aktivitäten),
  • Wassereffizienz (alternative Wassersysteme, Regenwassernutzung),
  • Energienutzung und Erdatmosphäre (effiziente Energienutzung, alternative Energiequellen wie etwa Solar- und Photovoltaikanlagen),
  • Materialeinsatz und Ressourcenverbrauch (Abfallvermeidung, Recyclingprodukte),
  • Wohnkomfort und Raumqualität (Raumklima, Lärmschutz),
  • Innovation (Einsatz von neuen und innovativen Umwelttechnologien),
  • Regionale Prioritäten (Vorgaben für jeden amerikanischen Bundesstaat durch das U.S. Green Building Council).

Je nach Gebäudetyp werden die einzelnen Kategorien unterschiedlich gewichtet. Die höchste Gewichtung erhalten in aller Regel die Energienutzung und Erdatmosphäre mit rund einem Drittel, gefolgt von Wohnkomfort und Raumqualität und von Lage und Verkehrsanbindung mit jeweils knapp einem Sechstel der Bewertung. Der Rest der Bewertung verteilt sich auf die anderen sechs Kategorien.

Maximal können ein Gebäude oder ein Gebäudekomplex bis zu 100 Punkte erhalten. Sie werden mit den folgenden Zertifikaten ausgezeichnet:

  • Platin (80 und mehr Punkte),
  • Gold (60 bis 79 Punkte),
  • Silber (50 bis 59 Punkte),
  • Zertifiziert (40 bis 49 Punkte).

In Deutschland wurden bisher 628 Gebäude nach dem LEED-System zertifiziert. Ausgezeichnet wurden in Deutschland unter anderem das Vattenfall Haus, Überseering 11-12, 22297 Hamburg, das Atrium Plaza, Mainzer Landstraße 180, 60327 Frankfurt/Main, das Holiday Inn München City Ost, Neumarkter Straße 85A, 81673 München und Nike Factory Store, Naundorfer Straße 44, 01987 Schwarzheide.

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